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11.06.2024: Dritter Naturschutzbrief der unteren Naturschutzbehörde (Juni)

Liebe Leser*innen,

für viele von uns besteht im Alltag kaum die Möglichkeit, mit Natur in Berührung zu kommen, die nur wenig durch die menschliche Gesellschaft beeinflusst wurde. Aber auch dort, wo unsere Umwelt menschlich stark überprägt ist, gibt es Natur und es laufen natürliche Prozesse ab – in der Regel von fast allen Mitbürger*innen unbemerkt. Dennoch sind dies oftmals spannende und hochinteressante Vorgänge, wenn man sich einmal die Mühe macht, sie bewusst wahrzunehmen und sich damit zu befassen. Im Folgenden möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf zwei solche Sachverhalte lenken.

"Milliarden Zikaden bedrohen die USA"

So lautete die Überschrift zu einem Artikel in einer schleswig-holsteinischen Tageszeitung aus der zweiten Aprilhälfte – und sie ließ mich automatisch in eine innerliche Abwehrhaltung treten, weil ich einen reißerisch verfassten Beitrag vermutete, der ein Bedrohungsszenario vom Ausmaß biblischer Plagen heraufbeschwören wollte. Mir war nur nicht klar, welcher Art diese Bedrohung hätte sein sollen, weil Zikaden vollkommen harmlose Tiere sind.

Um meine Neugier zu befriedigen, las ich den Artikel dann doch, wobei sich meine Befürchtungen glücklicherweise nicht bestätigten: Es ging um in den USA beheimatete Zikaden der Gattung Magicicada, welche einen bemerkenswerten Lebens- und Entwicklungszyklus aufweisen. Die ausgewachsenen Tiere (Imagines, Einzahl: Imago) leben lediglich einige Wochen, in denen die Reifung der frisch geschlüpften Imagines, die Paarung und die Eiablage ablaufen. Die aus den Eiern schlüpfenden Larven entwickeln sich über mehrere Jahre im Boden.

Das kennen wir auch von diversen hier heimischen Insektenarten. Als geläufiges Beispiel sei hier der Maikäfer genannt. Die Entwicklungszeit der Larven der Gattung Magicicada nun ist außergewöhnlich lang – je nach Art nämlich dreizehn oder siebzehn Jahre – und sie ist darüber hinaus innerhalb der Populationen noch derartig synchronisiert, dass die erwachsenen Tiere alle fast gleichzeitig schlüpfen. Auf diese Weise kommt es alle dreizehn beziehungsweise siebzehn Jahre zu entsprechenden Massenauftreten. Pro Quadratmeter Boden können mehrere hundert erwachsene Zikaden schlüpfen. Das Interessante in diesem Jahr wird sein, dass zwei voneinander unabhängige große Bruten (das sind lokale, in ihrer Entwicklung synchronisierte Populationen) etwa zur gleichen Zeit schlüpfen werden. Das ist ein Ereignis, das nur selten stattfindet (zuletzt im Jahr 1803) und allein deswegen schon außergewöhnlich ist.

Nach Auffassung der Wissenschaft werden in den betroffenen Bundesstaaten der USA mehr als eine Billion Zikaden schlüpfen, die dann ein paar Wochen als erwachsene Tiere leben, um schließlich nach der Paarung und Eiablage massenhaft zu sterben. Für mich ist es sehr gut vorstellbar, dass ein solches Phänomen den unvorbereiteten Menschen erschrecken und ängstigen kann. Umso wichtiger ist es, aufzuklären und unbegründete Ängste zu nehmen, vielleicht sogar Faszination für die oftmals erstaunlichen (Über-) Lebensstrategien in der Natur zu wecken.

Um noch einmal auf die "Bedrohung" zurückzukommen: Die singenden Zikaden-Männchen machen einen erheblichen Lärm, der gestressten Mitbürger*innen vermutlich schon zusetzen kann. Ich persönlich empfinde solche Lautäußerungen der Natur nicht als störend und ziehe diese allen mannigfachen Geräuschen unserer künstlich überprägten Umwelt vor. Eine Bedrohungslage kann man aufgrund des Zikadengesanges jedenfalls genauso wenig heraufbeschwören wie wegen quakender Frösche im Gartenteich.

Der Ölkäfer

Hierzulande können wir zwar mit billionenfachem Massenvorkommen von periodischen Zikaden nicht aufwarten. Jedoch gibt es auch hier Insektenarten, die es schaffen, über die Segnungen unserer modernen Medien die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit zu erhalten – in der Regel dann, wenn sich mit Hilfe von Fakten eine theoretisch denkbare Gefährdungslage erzeugen lässt, die jedoch bei näherem Hinsehen nicht existiert.

Hierzu kommt mir ein anderer Zeitungsartikel in Erinnerung, ebenfalls in der eingangs erwähnten Tageszeitung, von Anfang April dieses Jahres. Darin wurde von einem Spielplatz in Ostholstein berichtet, der von der betreffenden Gemeinde befristet geschlossen wurde. Der Grund dafür war ein dort beobachtetes Massenauftreten von Ölkäfern. "Der Rasen war schwarz vor Käfern", bestätigte der Bürgermeister. In Schleswig-Holstein können zwei Arten des Ölkäfers vorkommen, der Schwarzblaue Ölkäfer oder der sehr ähnliche Violette Ölkäfer. Eine dritte Art, der Kurzfühler-Ölkäfer, ist sehr selten und kommt in unserem Bundesland nur noch auf einer der Nordseeinseln vor.

Den Namen "Ölkäfer" haben sie erhalten, weil sie bei Gefahr an den Kniegelenken ölige Flüssigkeitströpfchen absondern, die sie vor Fressfeinden schützen sollen. Das in der Flüssigkeit enthaltene Cantharidin ist nicht gerade wohlschmeckend und für Warmblüter (zu denen auch der Mensch gehört) hochgradig giftig. Eine Menge von 0,05 Milligramm Cantharidin pro Kilogramm Körpergewicht kann für einen Menschen tatsächlich tödlich sein.

Damit wären wir wieder bei der Gemeinde in Ostholstein, die ihren Spielplatz wegen des dort festgestellten Ölkäfervorkommens schließen ließ. Außerdem hat sie die zuständige Verwaltung aufgefordert zu prüfen, ob man für die kommenden Jahre präventiv etwas unternehmen könne, um die Ölkäfer vom Spielplatz fernzuhalten. Dies jedoch wird wohl nicht gelingen, da alle hier vorkommenden Ölkäfer-Arten gemäß § 44 des Bundesnaturschutzgesetzes besonders geschützt sind. Die betreffende Gemeinde löste ihr Problem also durch die Schließung des Spielplatzes. Diese Praxis wird tatsächlich oftmals offiziell von Seiten der zuständigen Behörden empfohlen und ist aus versicherungsrechtlichen Gründen nachvollziehbar. Dennoch liegt eine reale Gefährdung nicht vor. Trotz der hohen Giftigkeit des Wirkstoffs Cantharidin sind in Deutschland tödliche Vergiftungen von Mensch oder Haustier durch Ölkäfer nicht bekannt. Dies liegt vermutlich daran, dass die Tiere, wie weiter oben erwähnt, nicht gut schmecken. Allerdings können bei Kontakt mit den Tieren Hautreizungen auftreten, wenn man mit den öligen Ausscheidungen in Berührung kommt.

Nun haben wir uns schon recht umfassend mit den hier vorkommenden Ölkäferarten befasst, jedoch nur mit deren potentieller Gefährlichkeit für den Menschen. Blickt man aber im Detail auf die Lebensweise der Ölkäfer, so stellt man fest, dass diese auf ihre Weise ebenso faszinierend ist wie die der eingangs behandelten periodischen Zikaden – und das spielt sich hier vor unserer eigenen Haustür ab: Im Frühjahr legen die Ölkäfer-Weibchen ihre Eier im Boden ab. Dieses Jahr habe ich die ersten Exemplare bereits Ende März dabei beobachten können. Offenbar wurden sie wegen des milden Winters und der gemäßigten Witterung frühzeitig aktiv.

Ein einziges Weibchen ist in der Lage, fünf- bis sechsmal im Abstand von ein bis zwei Wochen jeweils bis zu 9.500 Eier an geeigneten Stellen abzulegen. Zur Eiablage bereite Weibchen sind an ihrem stark angeschwollenen Hinterleib zu erkennen. Die frischgeschlüpften Larven erklettern sofort Blüten – nicht, um dort Pollen oder Nektar zu naschen, sondern um auf bestimmte Wildbienen zu warten. Wenn eine solche erscheint, klammert sich die Larve an ihr fest und lässt sich zu deren Nest transportieren. Zahlreiche Ölkäfer-Junglarven finden bei diesem Prozedere bereits ihr Ende, weil sie sich das falsche Transportmedium aussuchen und sich irrtümlich an anderen Blütenbesuchern wie Schwebfliegen, Grabwespen oder auch anderen Käferarten festhalten. Es wird geschätzt, dass sich nur jede tausendste Ölkäferlarve zu einem fertigen Insekt entwickelt. Die Larven, die bei der Wahl ihres unfreiwilligen Transportmittels den richtigen Griff getan haben, machen sich im Nest ihres Wirtes zunächst über das Ei der Biene her und ernähren sich dann von den eingetragenen Honig- und Pollenvorräten, von denen die Bienenlarve während ihrer Entwicklung zehren sollte.

Die Ölkäferlarve häutet sich während ihres Wachstums drei Mal und überwintert im Boden. Der fertige Ölkäfer schlüpft zwischen März und Mai und lebt dann etwa einen Monat, um sich fortzupflanzen. Das eigentlich Interessante an einem Massenvorkommen von Ölkäfern ist somit meines Erachtens nicht die potentielle Gefahr, dass sich Mensch oder Tier unfreiwillig durch Verzehr der Tiere vergiften könnten. Es ist vielmehr ein Hinweis auf das Vorkommen einer großen Wildbienen-Population. Angesichts des Artenrückganges gerade bei den heimischen Wildbienen ist dies ein grundsätzlich gutes und zu begrüßendes Zeichen, über das sich die betreffende Gemeinde freuen kann.

Übrigens ist auch nicht zu befürchten, dass die Ölkäfer ihre Wirts-Wildbienen ausrotten. Wir haben ja gelernt, dass nur ein Bruchteil der geschlüpften Ölkäferlarven überhaupt das Nest ihrer Wirtsbiene erreicht. Viel bedrohlicher für die Wildbienen und für zahlreiche andere Insektenarten ist der Lebensraumverlust durch menschliche Einflussnahme wie Landwirtschaft, Flächenversiegelung durch Siedlungsbau und Verkehr, Ordnungswut im Privatgarten und ähnliches mehr. Ich freue mich jedenfalls jedes Frühjahr aufs Neue, sobald ich die ersten dicken, behäbigen Ölkäferweibchen sehe, weil es sich um eine biologisch interessante Art handelt, weil diese auf das Vorkommen von Wildbienen hinweist und man damit noch Hoffnung für unsere Artenvielfalt hegen kann – und weil ich weiß, dass es endlich Frühling ist.

Faszination statt Bedrohung

Vieles von dem, was wir in unserer belebten Umgebung wahrnehmen und nicht verstehen, wirkt vielleicht unheimlich oder bedrohlich und erfüllt uns mit Ekel oder Angst. Das führt oft zu Fehl- oder Überreaktionen. Durch Beobachten und durch gezieltes Nachfragen (oder Nachlesen) lernen wir Unbekanntes und verstehen die zu beobachtenden Phänomene besser. Das ermöglicht es uns, angemessen zu reagieren – auch auf tatsächlich damit zusammenhängende Gefährdungen, die sich mit Wissen und entsprechend angepassten Verhaltensweisen vermeiden oder zumindest deutlich minimieren lassen.

Vielleicht denken ja auch Sie künftig, wenn Ihnen unbekannte Naturphänomene begegnen, nicht an eine vage Bedrohung, sondern eher an die faszinierende Mannigfaltigkeit der Strategien, mit der viele Arten ihren Fortbestand sichern, und dies oft bereits seit Millionen von Jahren. Ich wünsche Ihnen viele spannende Naturbeobachtungen in diesem Jahr!

Ralf Borchers, UNB Segeberg

Weitere Naturschutzbriefe und Informationen der UNB

30.05.2024: Satzung des Gewässerpflegeverbandes Mielsdorf-Neuengörs

Diese Satzung tritt am Tage nach der Bekanntmachung in Kraft. Gleichzeitig tritt die Satzung vom 17. April 2023 außer Kraft.

  • Datum: 30.05.2024

    Satzung des Gewässerpflegeverbandes Mielsdorf-Neuengörs

17.05.2024: Infos zur geplanten Wiedervernässung des Heidmoores

Kreis Segeberg. Im Herbst 2024 starten vorbereitende Maßnahmen zur geplanten Renaturierung des Heidmoores in der Gemeinde Seedorf. Ziel der Wiedervernässung ist es, die Freisetzung klimaschädlicher Gase aus dem Moorboden zu unterbinden und möglichst die Etablierung und Ausbreitung von torfbildenden Pflanzengemeinschaften zu fördern. "Auf diese Weise kann sich das Heidmoor langfristig wieder zu einem lebendigen Niedermoor-Hochmoor-Komplex und somit zu einer natürlichen Kohlenstoffsenke entwickeln. Zugleich dient die Wiedervernässung dem Erhalt und der Entwicklung des besonderen Lebensraumes ,Moor‘ für daran angepasste, teilweise landesweit gefährdete Tier- und Pflanzenarten wie die Bekassine, den Sumpfporst und den Königsfarn", erläutert Dr. Bianca Unglaub vom Sachgebiet "Biodiversität" der unteren Naturschutzbehörde des Kreises.

Gemeinsam mit dem zuständigen Planungsbüro möchte die untere Naturschutzbehörde das Projekt allen Interessierten vorstellen, die Ausführungsplanung darlegen und Fragen beantworten. Eine Informationsveranstaltung dazu findet am Montag, 3. Juni, ab 18.30 Uhr im Hotel Weiße Tauben, Eutiner Straße 18 in Seedorf statt.

Der Termin ist öffentlich; der Eintritt kostenfrei.


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